Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen
Eklat im Bundestag – 50 Jahre danach – was war da los?
Von Prof. Dr. Christoph Meyer, Historiker und Vorsitzender der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung

„Sie Düffeldoffel da“, „Urgestein“, „Biedenknopf“ und „Hodentöter“ – viele Begriffe und Kosenamen, die Herbert Wehner prägte, sind im Gedächtnis geblieben – ebenso mancher Spruch, ganz besonders jenes „Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen“, welches der SPD-Fraktionsvorsitzende den ausziehenden CSU/CDU-Abgeordneten nach giftiger Debatte am 13. März 1975 hinterherrief. Es ist ein geflügeltes Wort geworden, es erhält immer wieder aktuelle Bezüge, wird gern zitiert – und es lohnt, einmal einen Blick auf die Hintergründe zu werfen. Denn die sind auch heute – brandaktuell.
Der Eklat
Ich meine, mich daran erinnern zu können, dass ich es als knapp neunjähriger Junge selbst live im Fernsehen angesehen hatte, jedenfalls war ich fasziniert von dem Schauspiel, das sich da auf dem kleinen Schwarz-Weiß-Bildschirm in unserem dörflichen Wohnzimmer bot. Wahrscheinlich habe ich es aber auch wenig später erst im Fernsehen gesehen, denn es war am späteren Abend des 13. März 1975, für mich längst Schlafenszeit, als Herbert Wehner gegen Ende einer langen Debatte ans Rednerpult trat. Es ging um den Umgang mit dem aufflammenden Linksterrorismus der RAF, die Atmosphäre zwischen SPD/FDP-Regierung und CDU/CSU-Opposition war schon vergiftet.[1]

„Sie sind wirklich Reaktionäre“, rief Herbert Wehner, an die Adresse der Union gerichtet, „alles andere ist bei Ihnen ‚als ob’.“ Ihr Hauptredner, der CSU-Vorsitzende und heimliche Oppositionsführer Strauß betreibe „verleumderische Hetze“. Für ihn sei ist es nicht das Ziel, die Terroristen unschädlich zu machen, sondern möglichst viele Personen zu verdächtigen, dass sie sich im „Dunstkreis“ der Terroristen befänden. Sonst interessiere Strauß der Kampf gegen den Terrorismus nicht, „denn Sie sind selber geistig Terrorist!“ In den Reihen von CDU und CSU stieg die Unruhe. Abgeordnete antworteten mit Zwischenrufen wie „Das sagt Deutschlands Oberhetzer!“, „Dieser niederträchtige Kerl!“. Noch blieben sie aber sitzen. Dann rief ein Abgeordneter dazwischen, Wehner bringe den „Marxismus“ mit. Nun kam es, zum dritten Mal nach 1957 und 1970, zum Eklat[2].
Wehner blaffte zurück: „Wenn Sie das Wort ‚Marxist’ hören, geht es Ihnen so, wie Goebbels damit operiert hat, nichts anderes, nicht? Sie sind nämlich genauso dumm in dieser Frage, wie jener war. Nur war er ganz jesuitisch raffiniert.“ Weitere Zurufe der Union: „Dieser Verleumder!“, „Wie im Sächsischen Landtag!“, „Sie Kommunist! – Alter Bolschewist!“ Unter Protestgeschrei verließ die CDU/CSU-Fraktion den Saal. Wehner rief den Ausziehenden nach: „Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.“ Und: „Ich sage Ihnen Prost, weil Sie wahrscheinlich dahin gehen.“[3]
Herbert Wehner sprach nun vor den Abgeordneten der Regierungsfraktionen und ohne die Opposition weiter. Sachlich widerlegte er die Vorwürfe von Franz Josef Strauß. Er habe nie geleugnet, Kommunist gewesen zu sein. Er sei steckbrieflich verfolgt und von den Nazis gejagt worden. Er rief: „Wer einmal Kommunist war, den verfolgt Ihre gesittete Gesellschaft bis zum Lebensende, und wenn es geht, lässt sie ihn auch noch durch Terroristen umbringen. Das weiß ich, das ist so, und deswegen habe ich damals Kurt Schumacher gesagt: Die werden mir doch die Haut vom lebendigen Leibe abziehen. Da hat er mir gesagt: Und du bist einer, der das aushält, und du musst hier sein.“[4]
Kleines Nachspiel

Sechs Tage darauf bemerkte Bundestagspräsidentin Annemarie Renger (SPD) zu Beginn der Plenarsitzung, dass sie eine Reihe von Zwischenrufen gegen Herbert Wehner überhört hatte. Sie meinte, andernfalls hätten auch diese zu Ordnungsrufen führen müssen. Sie mahnte alle Parlamentarier, auf unerträgliche Schärfen und persönliche Beleidigungen zu verzichten[5]. Herbert Wehner selbst sprach in der Debatte zum Haushalt. Er geißelte die bewusste „Krisenprovokationsmentalität“ von Strauß[6]. Die Atmosphäre blieb giftig. Am Morgen fand sich in einer Abstimmungsurne ein ungültiger Stimmzettel mit der Aufschrift „UdSSR-Agent Wehner“. Am 13. März war Wehner als einziger Abgeordneter mit einem Ordnungsruf belegt worden, jetzt erlaubte er sich ein längeres Kurt-Schumacher-Zitat aus dem Jahr 1952 zu bringen, welcher ebenfalls die Methoden der Union, die SPD mit Kommunisten in einen Topf zu werfen kritisiert hatte. Die sogenannten „Antimarxisten“, so Schumacher seinerzeit, „übernehmen die Propagandaformeln, mit denen die Hitlerdiktatur zur Macht gekommen ist. Sie haben ihnen geistig nichts Neues hinzugefügt. (…) Das ist dieselbe Methode, mit der Hitler und Goebbels jeden Versuch, sich gegen ihre Diktatur aufzubäumen, als Kommunismus abzutun versuchten.“ Das zielte auch auf die Bundestagspräsidentin, denn Renger war die Lebensgefährtin von Schumacher gewesen. Herbert Wehner erbat sich also – vergebens natürlich – einen „Ordnungsruf à conto dieses Zitats von Schumacher“[7].
Die Vorgeschichte

Wer die Heftigkeit des Wehner’schen Ausbruchs verstehen will, muss den historischen Kontext kennen. Hierzu folgendes:[8] Nach der krachend verlorenen Bundestagswahl von 1972 hatte die CDU mit Helmut Kohl zwar einen neuen Vorsitzenden und mit Kurt Biedenkopf einen intellektuellen Generalsekretär, der sich erfolgreich bemühte, die Organisation und das Erscheinungsbild der Partei zu modernisieren, aber Kohl saß nicht im Bundestag, und die politische Strategie der Opposition bestimmte weiterhin der starke Mann aus Bayern, also CSU-Chef Franz Josef Strauß. Dieser sorgte im Frühjahr 1975 für einen Skandal. Zu diesem Zeitpunkt wurde bekannt, was er am 19. November 1974 auf einer Klausurtagung der CSU-Landesgruppe zur Politik von CDU und CSU vorgetragen hatte.
In Sonthofen, im Kurhotel Sonnenalp, eingerahmt von bayerischen Folkloreabenden, hatte Strauß den Beginn einer „großen Krise“ heraufbeschworen, die zur „Zerrüttung der einheimischen Wirtschaft“ führen werde. Strauß wollte der Regierung mit keinerlei konstruktiven Vorschlägen helfen. Die Opposition sollte vielmehr durch eigenes Nichtstun die Krise verschärfen, um schließlich den Rahm abzuschöpfen: „Es muss wesentlich tiefer sinken, bis wir Aussicht haben, politisch mit unseren Vorstellungen, Warnungen, Vorschlägen gehört zu werden.“ Die Taktik sei: „nur anklagen und warnen, aber keine konkreten Rezepte etwa nennen“.

Kurz darauf erreichte der Terrorismus der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) einen neuen Höhepunkt. Der Terrorist Holger Meins starb infolge seines Hungerstreiks in der Haft, und im Februar 1975 wurde der Berliner CDU-Vorsitzende Peter Lorenz entführt und freigepresst. Strauß hatte in Sonthofen gefordert, die Innere Sicherheit, den Terrorismus, zum Spitzenthema zu machen. Auch dabei suchte er die Konfrontation mit der Regierung. In der SPD- und FDP-Bundestagsfraktion sitze ein ganzer Haufen von „Sympathisanten der Baader-Meinhof-Verbrecher“: „Wir müssen sagen, die SPD und FDP überlassen diesen Staat kriminellen und politischen Gangstern.“ Die sozial-liberale Koalition müsse immer damit identifiziert werden, dass sie den Sozialismus und die Unfreiheit repräsentiere und dass ihre Politik auf die sowjetische Vormacht in Westeuropa hinauslaufe. Vorrangiges Ziel sei die „Auflösung“ der Bundesregierung. Dafür „können wir nicht genug an allgemeiner Konfrontierung schaffen.“[9]
Im März 1975 kam die Sonthofen-Rede durch eine Indiskretion oder, wie ihr Vorsitzender Richard Stücklen es nannte, „die größte Treulosigkeit, die er jemals in der CSU-Landesgruppe erlebt habe“[10], an die Öffentlichkeit. Am 10. März druckte der „Spiegel“ Auszüge aus der Rede ab. Willy Brandt regte Herbert Wehner an, sich zu überlegen, ob die Koalitionsfraktionen gegen den Sympathisanten-Vorwurf gerichtlich vorgehen sollten[11]. Der Fraktionsvorsitzende leitete den Original-Text der Rede an die SPD-Abgeordneten weiter. In seinem Rundschreiben an die Fraktion wertete er Strauß’ Ausführungen als „Krisen-Strategie, die bei Aufbietung aller demagogischen Mittel zur effektiven Ausschaltung der Sozialdemokratie führen soll“[12].
Just in dieser Situation fand die Bundestagsdebatte vom 13. März 1975 statt. Strauß verteidigte sich ausführlich gegen Vorwürfe des SPD-Vorsitzenden Brandt. Dabei blieb er auf seiner Sonthofener Linie, also dem frontalen Angriff auf die SPD/FDP-Koalition. Insbesondere griff er Brandt und Wehner aufgrund ihrer Vergangenheit an. Sie sollten mit ihren Werturteilen vorsichtig sein, denn wer „in seinem Leben Etappen volksfrontartiger Einstellungen hatte“, der solle andere Politiker nicht „diffamieren, denunzieren und zum allgemeinen Hass freigeben“[13]. Der Fraktionsvorsitzende Carstens sprang ihm bei. Er sprach von „Volksfrontbewegungen in der SPD und in der FDP“[14].
Wehners Äußerung in der Debatte war einerseits spontan, sie war durch beleidigende Zwischenrufe provoziert worden; andererseits ging sie auf einen bewussten Kurs der Konfrontation und Provokation durch die Union zurück, der Grundstein zum Eklat wurde nicht in Bonn gelegt, sondern in Sonthofen. Es war Franz Josef Strauß, der mit seiner Rede und der damit verbundenen politischen Strategie die Gemeinsamkeit der Demokraten in den Grundfragen, ein zentrales Anliegen Herbert Wehners spätestens seit dem 30. Juni 1960, zu unterminieren trachtete.
Einschub I: Das Original
„Wer rausgeht muss auch wieder reinkommen“, das Zitat ist im Original gar nicht aus dem Jahr 1975, aber immerhin stammt es von Herbert Wehner. Es ist von 1972. Damals, im April, stand das Konstruktive Misstrauensvotum des Rainer Barzel an, der Versuch also, den sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt zu stürzen. Es wurde öffentlich diskutiert, wie sich die Koalitionsfraktionen von SPD und FDP am besten taktisch verhalten sollten, ob es möglicherweise am besten wäre, bei der Abstimmung gar nicht im Plenum zu sein, damit klar ist, wer von den Regierungsfraktionen loyal zu Brandt stehe. In einem Interview mit dem Hessischen Rundfunk erteilte Herbert Wehner dem eine Absage, er machte klar, dass er nichts von dem Vorschlag halte: „Ich gehöre dem Bundestag von Anfang an an, und ich gehe nie raus, denn wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.“[15]. So geschah es auch, und das Misstrauensvotums scheiterte auch ohne Auszug aus dem Parlament.
Einschub II: Neuauflage 1998

Wie sehr Wehners Spruch im Gedächtnis der Sozialdemokratie hängengeblieben war, wurde 1998 im Bundestagswahlkampf klar. In einer Fernsehdebatte fühlten sich CDU-Generalsekretär Peter Hintze und sein FDP-Pendant Guido Westerwelle vom SPD-Kampa-Chef so sehr unter Druck gesetzt, dass sie fluchtartig das Studio verließen. Franz Müntefering, später einer von Herbert Wehners Nachfolgern an der Spitze der SPD-Bundestagsfraktion, rief ihnen das Wehner-Zitat hinterher: „Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.“ Auch diese Verwendung sorgte dafür, dass das Zitat in aller Munde geblieben ist.
Aktuelle Relevanz

Was die Debatte von 1975 betrifft, so ist heute an vielen Stellen eine Parallele zu ziehen, was CDU/CSU-Strategien betrifft, zum Beispiel eine Parallele zum Vorgehen von Herrn Merz, im Vorfeld der Bundestagswahl lieber schnell mal Brandmauern einzureißen und mit der AfD abzustimmen als den Ausgleich unter den demokratischen Fraktionen zu suchen (siehe den vorletzten Artikel hier auf der Seite der Stiftung „Mit feixender Meute kollaborieren“, der auch nach der Bundestagswahl Wort für Wort so stehen bleiben kann).
Ebenso verhält es sich mit dem rhetorischen (und via Kleine Anfrage der CDU/CSU tatsächlichen) Einschüchtern von demokratischen Gruppen und Organisationen, die gegen den Rechtsextremismus und seine Unterstützung protestieren. Hier werden, wie seinerzeit Wehner es so scharf kritisierte, wieder „Dunstkreise“ markiert.
Schon vor der Bundestagswahl 2025 war die Opposition von CDU/CSU wenig konstruktiv, ähnlich wie allerdings auch die Regierungszusammenarbeit seitens der FDP. Letzteres haben die SPD und Kanzler Scholz zu spät erkannt bzw. zu spät die Konsequenzen daraus gezogen. Was danach kam, samt erschütterndem Wahlergebnis für die SPD, war folgerichtig.
Was Friedrich Merz und die CDU/CSU vor der Bundestagswahl gefahren haben, erinnert an die 1970er Jahre. Steuerreformvorschläge ohne Gegenfinanzierung, Ablehnung von Sondervermögen bzw. Aufhebung der Schuldenbremse für militärisch und wirtschaftlich dringend notwendige Ausgaben. Das war eine Sonthofenstrategie wie damals, 1975. Der Beweis: Nach der Wahl ist es anders als vor der Wahl. Jetzt, wo sie selber bald regieren, muss es offenbar schnell gehen, um das notwendige Geld in die Finger zu bekommen.
Strauß‘ Sonthofen war allerdings auch anders als Merz‘ „Strategie“ heute. Damals gab es – rechts von der Union – keine rechtsextreme Bewegung mit Volksparteipotenzial. Der Schaden von Sonthofen sollte die Regierung und ihre Parteien treffen und der Opposition nutzen in ihrem Kampf um die Wiedererlangung der Macht. Hier war Merz‘ Aktion – und das ist ein nicht zu unterschätzender historischer Unterschied – erfolglos. Sie stärkte die rechtsextreme AfD, die CDU/CSU konnte nicht nennenswert profitieren, das „linke“ Gegenlager wurde nicht geschwächt, dessen Niederlage war ohnehin programmiert.
Die großen Tragödien der Geschichte, so hat es Karl Marx einmal formuliert, wiederholen sich nicht, es sei denn als Farce.
Einiges spricht dafür, dass die Beteiligten so weiter machen, insbesondere ihre charakterliche und politische Veranlagung sowie ihre Sozialisation – im Falle von Merz die eines Sauerländer Jung-Unionisten, der Sonthofen quasi mit der Muttermilch eingesogen haben dürfte. Dann hat die heutige Farce („Rambo-Zambo“) allerdings das Zeug, zur Tragödie zu werden.
Mit „Sonthofen“ muss jetzt Schluss sein
Denn vor 50 Jahren war die politische Lage in Deutschland eine ganz andere. Es gab mit SPD und Union zwei stabile Volksparteien mit breitem Rückhalt in der Bevölkerung und Wahlergebnissen um die vierzig oder mehr Prozent. Sonst war da im Parlament nur noch die FDP, damals etwas über 10 Jahre lang ein verlässlicher Koalitionspartner der SPD. Die rechtsextreme Gefahr war zwar nie ganz verschwunden, aber außer zeitweiligen Parlamentsaufenthalten der NPD in Landtagen der späten sechziger Jahre schwelte dieser Brand deutlich unter der Oberfläche. „Links“ gab es allenfalls marginale Kräfte, eine moskautreue DKP mit Wahlergebnissen im Promillebereich, die Grünen kamen dann Ende der 1970er Jahre als bunte Basisbewegung von Öko-Linkssozialisten auf, aber 1975 war noch nicht die Rede davon.
Heute aber muss allen Demokratinnen und Demokraten klar sein, wo der politische Feind steht, nämlich nicht innerhalb des demokratischen Lagers, sondern rechts, mitten drin, bei der in Wort und Tat rechtsextremen AfD, die auf dem Sprung ist, Volkspartei zu werden. Was würde ein Herbert Wehner zu denjenigen in Sachsen sagen, die heute trotz Wohlstands und Freiheit mit Hassparolen gegen Migrantinnen und Migranten Stimmung machen, um ihre rechte Agenda durchzusetzen?
Das Nationale würde er der AfD nicht zugestehen, die Verwendung der Farben Schwarz-Rot-Gold durch die Rechten würde er als Etikettenschwindel geißeln, denn, wie er immer Kurt Schumacher zu zitieren pflegte:
„National sein können in Deutschland nur diejenigen, die ein Deutschland schaffen helfen wollen, das die Wiederholung der Schrecken der Vergangenheit ausschließt.“[16]
Also: Wer den Hass gegen Zuwanderer schürt, ist kein Patriot. das gilt übrigens unabhängig vom Parteibuch.
Gegen Franz Josef Strauß fand Herbert Wehner damals harte Worte: „Sie sind selber geistig Terrorist.“[17] Möglicherweise war das eine Spur zu scharf, denn als Strauß und Kohl dann 1982/3 ans Regieren kamen, blieben sie im Rahmen der Verfassung, alle beide. Aber ich denke, auch heute würde Herbert Wehner die Dinge beim Namen nennen: Die AfD – das ist geistiger Terrorismus. Die Allgemeinheit – und da gehören Menschen mit Migrationshintergrund dazu – muss davor geschützt werden. Deutschland ist ein demokratisches Einwanderungsland, und das muss es bleiben.
Das andere ist die Kritik an unserem System, an der Presse und an den demokratischen Institutionen, die ebenso wie die Ausländerfeindlichkeit zur DNA der AfD gehört. Auch vor solch grundsätzlicher Systemkritik hat Herbert Wehner wiederholt gewarnt. Gegen Kritiker von „links“ meinte er 1967, an seine eigenen bitteren Jugenderfahrungen mit hass- und gewalterfüllten Demonstrationen auf der Straße anknüpfend:
„Man muss sich der Welt stellen, wie die Welt ist, und darf sie nicht in Brand setzen und darf diese Welt nicht noch schlimmer, als es schon durch ihre natürlichen Gebresten geschieht, durcheinanderbringen, dass überhaupt keine Chance ist, zu den sozialen Umwälzungen zu kommen, die die Menschen brauchen, damit sie in Frieden miteinander leben können. Das ist eine Lehre.“[18]
Im Jahr 2015 sagte ich – ebenfalls mit Bezug auf aktuelle politische Debatten und Herbert Wehners Auftreten:
„Wer im Westen (manche sagen ja heute dazu: „Abendland“) sein will, wer dazu gehören will, muss die Verbundenheit mit den westlichen Werten, die Übernahme von Verpflichtungen, die sich aus dem Zusammenwachsen der großen Welt ergeben, nicht nur in Kauf nehmen. Er oder sie muss sich aktiv, positiv gestaltend an einem menschlichen, solidarischen, humanen Europa beteiligen. Im Kleinen wie im Großen. Das bedingt einander, und das zeigt ein Lebensweg wie der des gebürtigen Dresdners, des deutschen Politikers Herbert Wehner im geteilten Deutschland des 20. Jahrhunderts.“
In seiner Rede vom 30. Juni 1960 hat Herbert Wehner deutlich gemacht, dass Demokratinnen und Demokraten in Deutschland zusammenstehen müssen gegen die Feinde der Demokratie. Das galt damals – und es gilt heute.
[1] Das Folgende ist zu wesentlichen Teilen angelehnt an: Meyer, Christoph (2006): Herbert Wehner. Biographie. 4. Aufl. München: dtv, S. 439ff.
[2] Deutscher Bundestag (BT), Stenographische Berichte (Sten. Ber.), 7. Wahlperiode (WP), 155. Sitzung, 13.3.1975, S. 10838f.
[3] Ebd., S. 10839; TV-Dokumentation der Bundesdebatte (Phoenix) – Zitate Wehners hier nach der Fernsehaufzeichnung.
[4] Ebd., S. 10842.
[5] BT, Sten. Ber., 7. WP, 158. Sitzung, 19.3.1975, S. 10961.
[6] Ebd., S. 11040.
[7] Ebd., S. 11042.
[8] Das Folgende nach Meyer: Herbert Wehner, a.a.O., S. 438f.
[9] Archiv für Christlich-Soziale Politik, München. Bestand CSU-Landesgruppe, Protokoll über die Herbsttagung der CSU-Landesgruppe am 18./19.11.1974 in Sonthofen; Anlage 7: Referat des Landesvorsitzenden Dr. h.c. Franz Josef Strauß auf der Tagung der CSU-Landesgruppe in Sonthofen am 18. und 19. November 1974; Wehners Exemplar im Herbert-Wehner-Archiv im Archiv der sozialen Demokratie, Bonn (HWA-1662 – mit Anstreichungen und Notizen).
[10] Ebd., Protokoll über die 60. Sitzung der CSU-Landesgruppe am 10.3.1975.
[11] Vgl. HWA-1662. Notiz „Frage W.Br (telef. 10.3., 9.35)“.
[12] Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung, Dresden, HGWST-EA 82. Wehner an die Mitglieder der Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag vom 11.3.1975.
[13] BT, Sten. Ber., 7. WP, 155. Sitzung, 13.3.1975, S. 10823.
[14] Ebd., S. 10834.
[15] HGWS-EA 64. SPD-Pressemitteilungen und Informationen Nr. 159/72 vom 25.4.1972.
[16] Nation und Nationalismus, in: Wehner, Herbert (1980): Wandel und Bewährung. Ausgewählte Reden und Schriften 1930-1980. 5., erw. Aufl. Hg. von Gerhard Jahn. Mit einer Einleitung von Günter Gaus. Frankfurt/Main – Berlin: Ullstein, S. 384-390, S. 387f.
[17] Wehner, Herbert (1975): Zur Auseinandersetzung mit dem Terrorismus. In: Ders. (1978): Bundestagsreden und Zeitdokumente. Mit einem Vorwort von Helmut Schmidt. Hg. von Eugen Selbmann, Bonn: AZ Studio, S. 191-202, S. 195.
[18] Bundeskonferenz der SPD 1967. Protokoll. 13. bis 15. November 1967. Bad Godesberg, Stadthalle, Bonn: o.V., S. B115.