„Denn auf Schmude ist Verlass“
Nachruf auf Jürgen Schmude
Von Christoph Meyer, Vorsitzender der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung
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Mit großer Trauer müssen wir Abschied nehmen von Dr. Dr. h.c. Jürgen Schmude, der am 3. Februar 2025 im Alter von 88 Jahren in Moers verstorben ist. Jürgen Schmude war nicht nur ein herausragender Jurist, Politiker und Kirchenmann, sondern für uns hier in Dresden vor allem ein guter Freund und engagierter Förderer der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung. Er hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Stiftung im Jahr 2003 ins Leben treten konnte. Sein Rat und seine Hilfe waren folgenreich und mit entscheidend für den Erfolg dieses Projekts, weit über die Anfangsjahre hinaus.
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Jürgen Schmude war Politiker. Geboren am 9. Juni 1936 in Insterburg (Ostpreußen) flüchtete er 1945 als Kind mit seiner Familie nach Moers am Niederrhein. Er studierte Recht, wurde Anwalt in der Kanzlei von Gustav Heinemann – und trat 1957 in die SPD ein. Von 1969 bis 1994 gehörte er dem Deutschen Bundestag an. 1974 bis 1976 war er Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, 1978 bis 1981 Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, 1981 bis 1982 als Nachfolger von Hans-Jochen Vogel Bundesminister der Justiz, kurzfristig auch Bundesminister des Innern. Von 1983 bis 1985 amtierte er als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Im Mai 1985 wurde er zum Präses der Synode der EKD gewählt. Dieses Amt hatte er bis 2003 inne, so lange wie niemand vor oder nach ihm. Von 2005 bis 2012 war Jürgen Schmude Mitglied im Nationalen bzw. Deutschen Ethikrat. Im Jahr 2009 verlieh ihm die Bonner Universität einen Ehrendoktortitel in evangelischer Theologie.
Jürgen Schmudes Einsatz für Dresden und die Stiftung hat einen ihrer Ursprünge in einer großen Geste. Im Sommer 1996 begleitete er Greta Wehner auf ihrem Umzug, fuhr sie persönlich in seinem voll mit Hausrat bepackten Auto von Bonn nach Dresden, und unterstützte sie so bei einer entscheidenden Weichenstellung in ihrem Leben. Diese Geste der Freundschaft und persönlichen Verbundenheit mit dieser großen Frau legte einen Grundstein für vieles, was dann folgte. Es hatte sich aber im Grunde genommen schon zu Herbert Wehners Zeiten im Bundestag abgezeichnet. So wusste der „Spiegel“ schon im Jahr 1979: „Schmude redet keinen Unfug. Kaum jemanden hat Herbert Wehner in der Fraktion so herzlich gelobt wie den leisen Langen aus Moers. Denn auf Schmude ist Verlass.“
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Und so war es. Im Jahr 2001 übernahm Jürgen Schmude zum zweiten Mal die Nachfolge von Hans-Jochen Vogel, diesmal als Sprecher des Freundeskreises Herbert-Wehner-Bildungswerk. Dieses Amt führte er sechs Jahre lang gewissenhaft und mit großem Engagement. Seine juristische Expertise war von unschätzbarem Wert, insbesondere bei der Gründung der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung im Jahr 2003. Die Stiftungssatzung trägt maßgeblich seine Handschrift. Bis 2015 amtierte Jürgen Schmude umsichtig und wirkungsvoll als Erster Stellvertretender Sprecher des Freundeskreises und Vorsitzender des Stiftungsbeirats.
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Gemeinsam durfte ich anderthalb Jahrzehnte lang mit ihm ein starkes Team bilden. Jürgen Schmude hat dafür gesorgt, dass die Stiftung in sicheren und verlässlichen Bahnen geführt wurde. Seine Unterstützung für mein Projekt der Herbert-Wehner-Biographie, die 2006 erschien, sowie der Ausbau und die Sicherung der Stiftung und des Freundeskreises sind nur einige seiner bedeutenden Verdienste. Jürgen Schmude war ein Freund klarer und rechtlich verbindlicher Regelungen, die der Stiftung in den oft schwierigen Zeiten in Sachsen das Überleben sicherten. Seine Fähigkeit, sowohl die großen Linien als auch die kleinen Details im Auge zu behalten, machte ihn zu einem unverzichtbaren Berater und Freund.
Noch Jahre über seine Amtszeit hinaus ist Jürgen Schmude alljährlich mit seiner Frau Gudrun im Sommer nach Dresden gekommen, um mit Greta Wehner und der Stiftung den Geburtstag von Herbert Wehner feierlich zu begehen. Zu diesen Anlässen nahm er wiederholt und prominent als Teilnehmer, Sitzungsleiter sowie auch als Zuhörender und mitdiskutierender Gast an zahlreichen öffentlichen politisch-orientierenden Diskussionsveranstaltungen des Herbert-Wehner-Bildungswerks und des Freundeskreises teil.
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Ich erinnere mich gut an eine ganze Reihe von Besuchen bei Jürgen und Gudrun Schmude in ihrem Eigenheim in Moers. Ich weiß noch, wie ich im Jahr 2005 bei ihm in der Wohnstube saß und er mir Rede und Antwort stand zu einem (für ihn) durchaus strapaziösen Zeitzeugengespräch über seine Erinnerungen an die gemeinsame Arbeit mit Herbert Wehner im Deutschen Bundestag von 1969 an. Beeindruckt war ich von seiner Schilderung, wie Jürgen, seinerzeit Staatssekretär im Innenministerium des Bundes, im Jahr 1974 auf Veranlassung von Herbert Wehner – aber dann doch entschlossen und mit der ihm eigenen Energie, Gründlichkeit und Beharrlichkeit – einer Gruppe von Exilchilenen bei ihrer nicht einfachen Ausreise aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland geholfen hat.
Der Kreis hat sich geschlossen, als ich Jürgen Schmude im letzten November im Rahmen meiner Lesereise ein letztes Mal besuchen konnte. Mit seiner Frau Gudrun saßen wir nachmittags am Kaffeetisch, als Jürgen, zu unserer Überraschung bestimmt eine Stunde lang, mit hoher Präzision erzählte, wie er als Achtjähriger mit seiner Familie im letzten Kriegswinter die Eroberung Ostpreußens durch die Rote Armee miterleben musste, verbunden mit für Kinder kaum zu verarbeitenden Erlebnissen von Angst, Verzweiflung und Gewalt.
Dieses Erlebnis war gewiss ein entscheidender Ausgangspunkt für sein kirchliches und politisches Engagement. Jürgen Schmude war ein bekennender, sich einmischender evangelischer Christ, ein Anwalt für Menschen und ein realistischer, solidarischer, umsichtiger, empathischer Streiter für die Sache der Sozialdemokratie.
Mit dem Tod von Dr. Dr. h.c. Jürgen Schmude verliert die Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung einen ihrer bedeutendsten Förderer und Gestalter. Wir werden Jürgen Schmude stets in ehrender Erinnerung behalten und sein Engagement und seine Verdienste für die Stiftung und die Gesellschaft würdigen.