Neue Spielräume für die Stiftung
Von Prof. Dr. Christoph Meyer, Stiftungsvorstand
Mit 2024 ist eines der erfolgreichsten Jahre in der Geschichte der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung zu Ende gegangen. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen die Veröffentlichung der Biographie „Greta Wehner“ nach über fünfjähriger Schreibarbeit. Und dann ist da noch eine weitere Geschichte, die hängt mit einer anderen Frau zusammen. Die Stiftung wird unverhofft Erbin: Traude Botzenhard hat der Stiftung ihr ganzes Vermögen vermacht.
Unverhofft Erbin!
Wie kam das? Um diese Frage zu beantworten, schalten wir ein Jahr zurück, es ist Ende Dezember 2023, und ich bin mit meiner Familie im Auto von Dresden unterwegs, um Silvester in Nordwestdeutschland zu feiern. Auf der Autobahn 14 Richtung Magdeburg, in der Raststätte, wir trinken gerade einen Kaffee, da klingelt das Handy. Ein Mann ist am anderen Ende, er sei Anwalt in Reutlingen, behauptet er, da gebe es eine Erbschaft, fügt er hinzu, und er sei der Testamentsvollstrecker.
Ja, denke ich zunächst, den Trick kenne ich, gleich kommt, dass da ein großes Vermögen eines bisher unbekannten entfernten Verwandten ohne weitere Familienmitglieder sei, ich solle einmal ein paar Tausend Euro auf ein Konto in … überweisen, damit die Formalitäten in Gang kommen. Irgendein Telefontrick, Nepper Schlepper Bauernfänger, meine ich.
Doch das Gespräch entwickelt sich anders, der Mann fragt mich, ob ich der Vorstand der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung sei, was ich bejahe, seine Mandantin, eine betagte Sozialdemokratin, habe die Stiftung zur Alleinerbin eingesetzt, sie sei nun gestorben und er müsse die weiteren Dinge mit mir klären. Es gehe um eine Immobilie, in Baden-Württemberg.
So ganz langsam, im Hinterkopf, macht es bei mir klick, klick, klick. Da war doch so eine Sache, es muss um Herbert Wehners 100. Geburtstag herum gewesen sein, im Jahr 2006. Da hatte ich Besuch, eine ältere Dame, SPD-Mitglied, aus Baden-Württemberg. Die fand sich bei mir ein zum Kaffee im Ladenlokal in der Kamenzer Straße, dem damaligen Sitz des Herbert-Wehner-Bildungswerks in der Dresdner Neustadt.
Hinterm Schaufenster, an den schönen Holz-Linoleum-Stahltischen sitzen wir, und die Frau berichtet, dass sie aus Franken komme, aus ihrer Jugend Erinnerungen an Sachsen habe. Nun sei sie schon lange geschieden, Kinder habe sie keine, nur ein paar entfernte Cousins und Nichten bzw. Neffen, aber da gebe es keinen persönlichen Kontakt. Sie suche also einen würdigen Erben für ihr Haus in der Nähe von Stuttgart, meint sie, und da habe sie an eine sozialdemokratische Organisation gedacht, nämlich an uns, die Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung.
Ich bin verdutzt, erfreut, fühle mich und uns geehrt, aber ich denke mir nicht weiter viel dabei. Klar, sage ich, als Erbin kommen wir in Frage, wenn das ihr Wunsch sei, würden wir das Geerbte im Sinne unseres Stiftungszwecks einsetzen, so sieht es die Satzung vor. Politische Bildung, Völkerverständigung, Pflege des Andenkens an Herbert Wehner, da können wir jede Unterstützung gebrauchen.
Ja, das sei in ihrem Sinne, meint die Dame. Dann verabschiedet sie sich bald, ich denke mir noch: Da kann noch viel geschehen, ehe wir tatsächlich als Erbin eingesetzt werden – sowas ist ja selten unkompliziert, und es geht sicher noch viel Zeit ins Land. Jedenfalls sage ich mir: Rechne mit nichts, bohre nicht nach, lass die Sache auf sich beruhen. Und so habe ich, nach 18 Jahren, die Angelegenheit fast vergessen, als mich der Anruf des Anwalts erreicht. Vielleicht war es ja diese Sache, denke ich, denn einiges stimmt mit der alten Geschichte überein.
Anfang Januar, zurück in Dresden, sehe ich in meinen Unterlagen nach, und tatsächlich, da finde ich eine Notiz: Im September 2006 war eine Traude Botzenhard im Bildungswerk zu Besuch, das habe ich seinerzeit notiert und noch ihre Adresse aufgeschrieben. Alles stimmt mit den Angaben des Anwalts überein, tatsächlich, wir machen eine Erbschaft.
Wer war Traude Botzenhard?
Im Januar 2024, ich hatte mir die Traueranzeige vom Anwalt geben lassen, fahre ich in eine kleine fränkische Stadt zwischen Hof und Bayreuth, wo die Beerdigung stattfindet. Ich habe ein Gesteck mit Schleife besorgt. Ein kalter, windiger Regentag. Außer mir sind nur zwei Handvoll Trauergäste auf dem Friedhof, keine Verwandten, fast alles alte Leute, alte Schulfreunde und Nachbarn aus dem Heimatort der Verstorbenen. Hier erfahre ich nun mehr, ich darf aus der Grabrede von Roland Barth, Sohn einer engen Freundin, zitieren:
„Traude wurde am 6. April 1932 in Meierhof/Vordorf, Kreis Wunsiedel mit dem Mädchennamen Todt geboren. Aufgewachsen ist sie bei einer Tante in Plauen, da die Eltern sehr arm waren. Später, in Kriegszeiten, zog sie, nachdem Plauen heftig ausgebombt wurde, nach Meierhof zu ihren Eltern.
An der Berufsschule Wunsiedel, genannt Kaffeemühle, hat sie meine Mutter Annelies Barth kennengelernt. Dabei fuhr sie Sommers wie Winters mit dem Rad die circa fünf Kilometer auf schlechten Wegen von Meierhof nach Wunsiedel zur Schule. Die beiden haben zusammen viel unternommen, beachtenswert war eine Fahrt mit dem Fahrrad nach Nürnberg, etwa 150 Kilometer.
Nach dem Krieg ging sie als Deutsche zuerst nach London, wo sie als Nanny unter schwierigen Verhältnissen zwei Kinder und den Haushalt einer englischen Familie betreute. Oft erzählte sie von den Erfahrungen in der englischen Familie als ehemaliger Kriegsgegner. Wichtig war für sie das Erlernen der englischen Sprache.
Danach ging sie nach Frankreich, um auch dort als Deutsche die französische Sprache zu erlernen. Ebenfalls unter herausfordernden Bedingungen.
Nach den Sprachaufenthalten hat sie in verschiedenen schwäbischen Industriebetrieben gearbeitet, vor allem im Management und als Übersetzerin technischer Unterlagen. Für eine Frau ohne technische Ausbildung war das ebenfalls eine große Herausforderung.
Diese Erfahrungen im Angestelltenverhältnis haben Traude Botzenhard geprägt und Ihre Einstellung, für soziale Errungenschaften in der Arbeitswelt zu kämpfen. Sie war immer ein motiviertes Mitglied der SPD und hat sich immer für sozial Benachteiligte und Flüchtlinge engagiert. Auch für Rat und Tat war sie immer eine gefragte Anlaufstelle.
Nach der Heirat mit Albert Botzenhard bauten sie zusammen ein Haus in Lichtenwald. Sie waren beide begeisterte Skifahrer. Für Traude insbesondere stand Fitness bis kurz vor ihrem Tod immer an erster Stelle. Nach der Scheidung hatte sie Albert ausgezahlt und das Haus in Lichtenwald allein weiter bewohnt. Haus und Grund in Meierhof hat sie nach dem Tod ihrer Mutter verkauft, auch um die hohen Darlehensforderungen der Bank zu tilgen.
Albert zog nach Hamburg, erkrankte später, starb und wurde in diesem Grab hier in Weißenstadt beigesetzt. Traude Botzenhard kümmerte sich immer um Albert, mit dem sie stets ein gutes Verhältnis pflegte. Auch den eigenen letzten Lebensabschnitt hat Traude Botzenhard sorgfältig geplant. Allerdings wurde sie von ihren gesundheitlichen Problemen und ihrem Tod letztlich überrascht ebenso wie nahe Freunde und Verwandte.
Wir werden Traude Botzenhard immer als verlässlichen Menschen in Erinnerung halten, der immer für andere da war mit Rat und Tat und der mit beiden Füßen fest auf dem Boden stand. Ein Auszug aus ihrem Haus zu Lebzeiten stand bei ihr nie auf der Tagesordnung. Nun wird sie hier, wo ihr Leben begann, die letzte Ruhestätte finden.“
Die Erbschaft
Traude Botzenhard ist am 9. Dezember 2023, mit 91 Jahren, gestorben. Und damit ist der Erbfall eingetreten, welchen sie selbst, ganz entsprechend der wohl treffenden Charakterisierung in Roland Barths kurzer Trauerrede, verlässlich und sorgfältig geplant hat. Das glasklare Testament setzt die Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung als Alleinerbin ein, und der Testamentsvollstrecker wird beauftragt, Haus, Grundstück und etwaige Vermögensgegenstände zu verkaufen und den Erlös dann an die Stiftung zu übertragen.
Und so geschieht es im Lauf des Jahres 2024. Anwalt Volker Stähle aus Reutlingen, Testamentsvollstrecker, wickelt das Erbe ab, er ist sich seiner Pflicht bewusst, das beste Mögliche im Sinne des Willens von Traude Botzenhard dabei herauszuholen. Dem entspricht meine Pflicht als Stiftungsvorstand, das Vermögen der Stiftung bestmöglich zu wahren. Ich kümmere mich auch selbst um die Erbschaft, fahre nach Lichtenwald und schaue mir Haus und Grundstück an, schalte eine Maklerin der Baden-Württembergischen Bank ein, die eine realistische Einschätzung liefert, was mit dem Verkauf erlöst werden kann.
Es dauert nun noch einige Monate; im Herbst 2024 sind Haus und Grundstück dann verkauft, und pünktlich zu Greta Wehners 100. Geburtstag am 31. Oktober 2024 geht der Kaufpreis auf dem Konto der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung ein. Am Ende ist die Stiftung, damit hatten wir anfangs gar nicht gerechnet, unter dem Strich um über 300.000 Euro reicher. Neben den zwei Immobilien, also Gretas Wohnung und den Flächen, welche im Herbert-Wehner-Haus an das Bildungswerk vermietet sind, hat die Stiftung jetzt also auch ein – nicht mehr ganz kleines – Bankguthaben, mit dem gewirtschaftet werden kann und muss.
Eine Stiftung als Erbin?
Wer sein Geld einer Stiftung wie der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung vermacht, kann von einigen günstigen Bedingungen ausgehen. Jedenfalls lohnt sich vor Abfassung des Testaments ein gründliches Studium der Stiftungssatzung. Aus diesem Dokument sind wichtige Informationen zu ziehen:
- Verfolgt die Stiftung gemeinnützige Zwecke? Wenn das der Fall ist, so wie bei der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung (siehe § 2 der Satzung), dann ist geerbtes Vermögen vollständig von der Erbschaftsteuer befreit.
- Handelt es sich um eine rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts, dann unterliegt die Einhaltung des Stiftungszwecks der staatlichen Aufsicht – in diesem Falle ist das die Landesdirektion Sachsen, an welche die Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung auch jährlich Bericht zu erstatten hat.
- Kann die Stiftung frei über ihr Vermögen verfügen oder gibt es hier Beschränkungen, die gegebenenfalls im Sinne eines Erblassers oder einer Erblasserin sind? Im Fall der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung kann der Vorstand geerbtes Vermögen nicht einfach ausgeben, sondern er ist (so § 3 der Satzung) gehalten, das „Vermögen der Stiftung (…) in seinem Bestand ungeschmälert zu erhalten“.
Das geerbte Vermögen darf die Stiftung also nicht einfach ausgeben. Sie ist vielmehr gehalten, es „mündelsicher“ anzulegen. Als sicher in diesem Sinne gelten festverzinsliche Wertpapiere, Bankeinlagen, Immobilien und Stiftungsfonds. Die Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung hat das Erbe von Traude Botzenhard zunächst in einer Bankeinlage festgelegt. Die jährlichen Zinsen aus diesem Vermögen kann sie dann für die Verwirklichung des Stiftungszwecks einsetzen, also: ihr Werk zur Stärkung der Demokratie in Herberts Geburts- und Gretas Wahlheimat ausbauen und fortführen.
Und das verdankt die Stiftung – nicht zuletzt – der Verlässlichkeit, Umsicht und Solidarität von Traude Botzenhard. Die Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung wird ihrer stets in Dankbarkeit gedenken.
Nachtrag: Spenden und Vererben an die Stiftung
Näheres zum Spenden – und zu den Spendenarten – an die Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung ist auf ihrer Internetseite https://www.hgwst.de/ im Bereich „Stiftung“ zu erfahren. Unter „Helfen und Spenden“ gibt es Angaben zur steuerlichen Abzugsfähigkeit von Spenden und Zustiftungen sowie ein Spendenformular zum Download. Ebenfalls gibt es dort umfängliche, transparente und aktuelle Angaben zur Arbeit der Stiftung, zu ihrer Lage und zu ihrem Finanzgebaren. Wer Nachfragen hat, kann sich gerne per E-Mail an den Stiftungsvorstand wenden.