Acht Jahre fehlen
Was machte Wehner in der Ära Schmidt?
Eine groteske Lücke füllt Wikipediakorrektur Nr. 25. Im missglückten Wehner-Artikel auf „Wikipedia“ folgt nach Brandts Rücktritt 1974 gleich das Jahr 1980, als Wehner Alterspräsident wurde – und 1982, als er noch für kurze Zeit als „Oppositionsführer“ amtierte. Das mag da stehen bleiben, aber was soll das denn? Kein Wort zu dem, was Herbert Wehner in der gesamten Zeit der Kanzlerschaft Helmut Schmidts (1974 bis 1982) politisch geleistet hat – immerhin war er ja Fraktionsvorsitzender? Hat Wehner über acht Jahre nichts getan? Hier – knappstmöglich – die Antworten.
Folgendes also ist nachzutragen:
Maßgeblich prägte Herbert Wehner als Vorsitzender der stärksten Regierungsfraktion die Amtszeit des zweiten sozialdemokratischen Bundeskanzlers Helmut Schmidt mit. Wehner meinte, dass „aus der Not, dass der erste sozialdemokratische Bundeskanzler zurückgetreten war“, noch eine Tugend geworden sei.[1] Zwischen Schmidt und Wehner herrschte ein ausgesprochenes Vertrauensverhältnis, während Brandt und Wehner als Partei- und Fraktionsvorsitzende in erster Linie ein gemeinsames Pflichtgefühl verband.[2]
Der im Amt alternde Herbert Wehner bewältigte in dieser Zeit die angesichts der krisenhaften wirtschaftlichen Lage und der sich immer stärker herausbildenden innerparteilichen Flügel schwierige Aufgabe, die Fraktion zusammenzuhalten und sie immer wieder hinter der sozialliberalen Koalition zu einen. Weiter amtierte er als Chefredakteur der SPD-Theoriezeitschrift „Die Neue Gesellschaft“, und 1977 wurde er Vorsitzender der Arbeitsgruppe Sozialpolitisches Programm beim Parteivorstand der SPD, welche dem skeptischen Kanzler im Frühjahr 1980 ihre Vorschläge zu einem weiteren „Ausbau der sozialen Demokratie“ vorlegen konnte.[3]
Einen entscheidenden Beitrag leistete Herbert Wehner zur Verabschiedung des Mitbestimmungsgesetzes am 18. März 1976. Als die Sozialpolitiker der SPD und die Wirtschaftspolitiker der FDP sich hierüber nicht einigen konnten, übernahmen die Fraktionsvorsitzenden Wehner (SPD) und Mischnick (FDP) persönlich die Verhandlungen und erarbeiteten einen Kompromiss, der beides sicherte: den Erhalt der Koalition sowie die Ausweitung der Mitbestimmung.[4]
Scharfe Auseinandersetzungen mit Franz Josef Strauß gab es insbesondere nach dem Bekanntwerden der Sonthofener Rede von 1974. Darin hatte der CSU-Vorsitzende die Gemeinsamkeit der Demokraten im Grundsatz in Frage gestellt und die Union zu einem verschärften Oppositionskurs ohne konstruktive Vorschläge aufgerufen. Wehner sah darin einen Bruch mit der von ihm im Juni 1960 vorgetragenen Politik einer Überwindung der innenpolitischen Verhetzung und geißelte diese Entgleisung von Strauß im Bundestag wiederholt ätzend und scharf.[5] Unter anderem hatte Strauß die Sozialdemokraten in die Nähe von Sympathisanten der RAF-Terroristen gerückt. Als deren Entführungs- und Mordanschläge ihren Höhepunkt erreichten, im Herbst 1977, stellte Wehner sich deutlich hinter die Linie des Kanzlers Schmidt, welche Besonnenheit und Entschlossenheit im Kampf gegen den Terrorismus vereinte.[6]
Unter dem Kanzler Helmut Schmidt gingen Herbert Wehners Bemühungen um die Hilfe für Menschen, die in der DDR aus politischen Gründen in Not geraten waren oder ausreisen wollten, weiter. Den Kontakt über den Anwalt Wolfgang Vogel zu Erich Honecker, welchen er mit Rückendeckung Brandts im Jahr 1973 etabliert hatte, setzte er unter ausdrücklicher Billigung des Bundeskanzlers Helmut Schmidt fort. Regelmäßig kam es zu Begegnungen mit Vogel, der Wehner Botschaften Honeckers vortrug, welche der SPD-Fraktionsvorsitzende wiederum an den Kanzler weiterleitete – und umgekehrt. Unter Mithilfe von Greta Burmester und Helga Vogel konnte zehntausenden Ausreisewilligen geholfen worden, und gleichzeitig war der Kontakt Schmidt-Honecker über Wehner und Vogel ein wichtiger „back channel“ zur Klärung politischer Fragen zwischen Bundesrepublik und DDR. So konnte, als die USA und die Sowjetunion nach dem Einmarsch der UdSSR in Afghanistan in eine neue Phase des Kalten Krieges gerieten, eine einschneidende Abkühlung der deutsch-deutschen Beziehungen verhindert werden.[7]
Nach der Bundestagswahl von 1976, insbesondere nach dem Tod seiner Ehefrau Lotte im Oktober 1979 ließen die gesundheitlichen Kräfte Wehners nach. Seine letzten Amtsjahre waren gekennzeichnet durch wiederholte Erkrankungen und durch ein deutliches Nachlassen seines Gedächtnisses. Ohne ein begeisterter Anhänger des NATO-Nachrüstungsbeschlusses zu sein, unterstützte Herbert Wehner den außenpolitischen Kurs des Bundeskanzlers Helmut Schmidt bis zum Schluss. Er bemühte sich, aber den Verfall und das Auseinandergehen der sozial-liberalen Koalition im Spätsommer 1982 konnte auch Herbert Wehner nicht verhindern.[8]
[1] Meyer, Christoph (2006): Herbert Wehner. Biographie. 4. Aufl. München: dtv, S. 426.
[2] Vgl. ebd., S. 428f.
[3] Vgl. ebd., S. 434f.
[4] Vgl. ebd., S. 436f.
[5] Vgl. ebd., S. 438-441.
[6] Vgl. ebd., S. 444f.
[7] Vgl. ebd., S. 448-455.
[8] Vgl. ebd., S. 464-474.
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