Geburtagsführung für Herbert Wehner
Mit dem Volvo unterwegs in Dresden
Vor 115 Jahren, am 11. Juli 1906, wurde der sozialdemokratische Jahrhundertpolitiker Herbert Wehner in Dresden geboren. Aus diesem Anlass führte der Historiker und Stiftungsvorsitzende Christoph Meyer an die historischen Orte der Kindheit und Jugend des bedeutendsten Politikers, den Sachsen im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat.
Der Rundgang begann am vom Dresdner Künstler Peter Bergmann im Jahr 1998 geschaffenen Herbert-Wehner-Denkmal an der Ecke Spenerstraße/Kyffhäuserstraße. Der SPD-Ortsverein Dresden-Striesen hatte eingeladen, seit drei Jahren ist es dort Tradition, am Geburtstag von Herbert Wehner nicht nur das Denkmal zu putzen, sondern auch mit einigen Worten des leidenschaftlichen Parlamentariers zu gedenken. Neben dem Ortsvereinsvorsitzenden Martin Wunderlich und dem Dresdner SPD-Vorsitzenden und Vorsitzenden des Freundeskreises Herbert-Wehner-Bildungswerk e.V., Albrecht Pallas, sprach die Bundestagskandidatin Rasha Nasr (29) zu etwa 25 Anwesenden aus nah und fern.
Die „Spenerstraße“ könnte eigentlich auch gleich in „Wehnerstraße“ umbenannt werden, scherzte Christoph Meyer zu Beginn seiner Stadtteilführung. Schließlich haben Wehners in dieser Straße nachweislich an drei verschiedenen Adressen gewohnt, historisch bezeugt sind die Anschriften Spenerstraße 1b, Spenerstraße 5 und Spenerstraße 13. An dieser Stelle stand das Geburtshaus. Außerdem führte die Führung durch die Wittenberger Straße – Hausnummer 17 war auch eine Wohnadresse der jungen Fami
lie Wehner – zum Standort der im Krieg zerstörten Erlöserkirche. Nichts erinnert mehr daran, dass an dieser Stelle einst eine Kirche stand. Dabei war Herbert Wehner 1921 in dieser Kirche konfirmiert worden, und hier hatte er im Kirchenchor mitgesungen. Am Rande einer Chorprobe, erzählte Meyer, kam es im Herbst 1918 zur ersten überlieferten politischen Tat des Zwölfjährigen: Er nahm, unbemerkt, ein Bild des Hohenzollernkaisers Wilhelm II. von der Wand, drehte es um und stellte es auf den Boden. Eine empörte Predigt des nationalistischen Pfarrers beim nächsten Sonntagsgottesdienst war die Folge.
Entbehrungsreiche Zeiten hatten die Wehners und auch der junge Herbert vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg in Dresden zu bewältigen. Der Vater wurde arbeitslos, die Inflation galoppierte durchs Land, innere Unruhen erschütterten immer wieder die junge Demokratie. Die Reichsregierung entsandte gar 1923 das Militär nach Sachsen, um eine legal gewählte SPD/KPD-Koalitionsregierung aus dem Amt zu jagen. Mit der Folge, dass der junge Herbert Wehner die sozialdemokratische Welt nicht mehr verstand und mitsamt der Mehrheit der Striesener Arbeiterjugend der SPD den Rücken kehrte und eine freie anarchistische Jugendgruppe gründete, die in Dresden teilweise mehr als 500 Mitgliede
r hatte. Für damalige Zeiten war das nicht viel, heute wäre eine solch große politische Jugendorganisation wohl die größte in ganz Dresden. Herbert Wehner jedenfalls, bis 1921 Schüler der vom berühmten Stadtbaurat Hans Erlwein entworfenen Volksschule in der Haydnstraße (heute: Martin-Andersen-Nexö-Gymnasium), wurde der führende Kopf dieser Jugendgruppe. Er gab eigene Zeitschriften heraus und organisierte Kundgebung um Kundgebung. Bis er dann 1926 nach Berlin ging, wo er beim Schriftsteller Erich Mühsam seine erste Frau kennen lernte, die Schauspielerin Lotte Loebinger. So gehörten zur Führung auch die Schule in der Haydnstraße und schließlich, in der Wartburgstraße, das ehemalige Stadthaus, damals das Standesamt von Dresden-Striesen, wo im Sommer 1927 die Ehe geschlossen wurde. Dies immerhin sind zwei Originalgebäude, heute teils aufwendig saniert.
Große Teile von Striesen-West, nahezu die gesamte Bebauung, sind bei den Bombardements vom 13. und 14. Februar 1945 zerstört worden, heute stehen Neubauten und sanierte Plattenbauten aus der DDR-Zeit mit völlig veränderten Grundrissen dort, wo früher ebenso typische „Striesener Würfel“ zu sehen waren wie im vom Zweiten Weltkrieg weitgehend verschonten Rest von Striesen. Also muss so ein Stadtrundgang auf den Spuren Herbert Wehners immer auch in der Fantasie und gestützt auf Originalunterlagen, Fotos und das gesprochene Wort stattfinden. Dies gelang jedoch gut.
Mit von der Partie bei der eindrucksvollen Führung war der letzte Volvo von Herbert Wehner, Typ 240GL, Erstzulassung 1983, das Auto, mit welchem Herbert Wehner mit Greta 1986 zum letzten Mal seine Heimatstadt besucht hatte. So schloss sich der Kreis, und SPD Striesen wie Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung waren sich einig: Auch in den kommenden Jahren werden wir würdige Wege finden, Herbert Wehners zu seinem Geburtstag in Striesen zu gedenken.
Wer mehr über Herbert Wehner wissen will, auch zu seiner Jugend: Verlässliche und spannend zu lesende Informationen gibt es in Christoph Meyers Biographie „Herbert Wehner“ (dtv-Verlag), als Originalausgabe nach wie vor zu bestellen bei der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung in ihrem Antiquariat.
Und hier folgen noch einige historische Bilder – zur Familie Wehner und zur Geschichte des Denkmals sowie des Gedenkens in der Spenerstraße.