„Schneller Brüter“ gestorben

Trauer um Erwin Stahl

Weggefährte Herbert Wehners gestorben

Erwin Stahl diskutiert im Freundeskreis (11. Juli 2004)

Im Alter von 88 Jahren starb am 7. August 2019 der langjährige Freund und Unterstützer des Freundeskreises Herbert-Wehner-Bildungswerk und der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung, Erwin Stahl.

Erwin Stahl hat in seinem langen Leben Deutschland in seiner ganzen Breite von Ost nach West und wieder in Richtung Osten durchmessen. Geboren wurde er und aufgewachsen ist er in Posen. Nach dem Krieg kam er als Vertriebener an den Niederrhein, in den Kreis Viersen. Er ging in den Bergbau, arbeitete sich vom Knappen über den Hauer und Steiger bis hoch zum Ingenieur. Seit 1964 Mitglied in der SPD, kam er über die Kommunalpolitik in den Deutschen Bundestag. Diesem gehörte er als Abgeordneter 18 Jahre lang an, von 1972 bis 1990. In seiner Abgeordnetenzeit wurde er einer der wichtigsten Zuarbeiter von Herbert Wehner. Von 1978 bis 1982 war er in der Regierung von Helmut Schmidt Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Forschung und Technologie. Technik und Energiepolitik war sein Schwerpunktthema. Erwin Stahl erwarb sich in dieser Zeit unter den SPD-Abgeordneten die Spitznamen „Atom-Erwin“ und „Schneller Brüter“ – beides natürlich nicht nur wegen seiner vielen Gedankenblitze. Gleichwohl, auch wenn Erwin Stahls Position damals klar pro Atomenergie war, schuf er doch Raum zum Diskutieren, zu einer Neuorientierung, etwa indem er Herbert Wehner im Jahr 1979 davon überzeugte, dem Vorschlag zur Gründung der Bundestags-Enquête-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik“ zu folgen.

Im Gefolge der deutschen Vereinigung von 1990, mit 60 Jahren, ging Erwin Stahl dann in den Osten, um den Menschen zu helfen, den wirtschaftlichen und sozialen Umbruch zu bewältigen. Er wurde Arbeitsdirektor im Energiewerk „Schwarze Pumpe“ in der Lausitz. Er bemühte sich, so viele Arbeitsplätze zu retten wie möglich, auch als er dann Geschäftsführer der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft wurde. Jetzt ging es darum, die stillgelegten Tagebaue und Veredelungsbetriebe zu sanieren und Chancen für weitere Beschäftigung zu ermöglichen. Kein einfaches Geschäft, es gelang ihm zwar, Bergbauarbeitern zu helfen, neue Kleinbetriebe auf dem Gelände zu gründen, aber im Großen war es im Ergebnis mehr Abwicklung als Aufbau Ost.[1]

„Dass Erwin sich persönlich um Menschen mit schwierigem Schicksal, um Arbeitsplätze in der Region bemühte, das hat er mit dem unermüdlichen Helfer Herbert Wehner gemeinsam“, sagt Christoph Meyer, Vorsitzender der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung und fügt hinzu: „Das zweistündige Interview, das ich mit ihm während der Arbeiten an meiner Biographie über Herbert Wehner im Jahr 2005 führen konnte, bleibt mir ebenfalls unvergesslich.“

In dem Interview schilderte Erwin Stahl auch seine erste Begegnung, vielmehr sein erstes Aneinandergeraten mit dem mitunter grantigen Fraktionsvorsitzenden: Einmal „hab‘ ich dann den Herbert Wehner um Rat gefragt. Dann hat er mich angekuckt und hat ziemlich barsch mit mir gesprochen.“ Die Zurechtweisung wollte Stahl sich aber nicht bieten lassen: „Ich habe meine Hand auf sein Knie gelegt und hab‘ gesagt: Herbert, du bist mein Fraktionsvorsitzender und ich wünsche mir, dass du mir einen Ratschlag gibst. Du bist nicht mein Betriebsführer, der in dieser Art mit mir umgehen kann. Dann zuckte er und legte seine Hand auf meine Hand und sagte zu mir: Das tut mir leid, so habe ich das auch nicht gemeint.“ – und damit war das Verhältnis geklärt und es begann eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit.

„Erwin war ein verlässlicher Freund, er hat uns mit seiner Großzügigkeit in der Gründungsphase der Stiftung sehr geholfen“, ergänzt Meyer. „Auf unseren jährlichen Freundeskreistreffen zum Geburtstag von Herbert Wehner war er ein gern gesehener, engagiert diskutierender und mitfeiernder Gast. Die Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung wird Erwin Stahl vermissen.“

[1]             Übrigens: Wie üblich ist Wikipedia zu Erwin Stahl nicht recht verlässlich. Der Lebenslauf dort endet im Jahr 1990, sein Engagement in der Lausitz wird komplett verschwiegen.

„Schneller Brüter“ gestorben