Zum Film „Tödliche Falle – Herbert Wehner in Moskau 1937“, ausgestrahlt am 2. Oktober 2002 in der ARD
(04.10.2002) Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde des Herbert-Wehner-Bildungswerks!
Die ARD hat am 2. Oktober 2002 den Film „Tödliche Falle – Herbert Wehner in Moskau 1937“ ausgestrahlt. Begleitet wurde dies durch eine Reihe von Berichten und Kommentaren in der überregionalen Presse, von denen einige ein differenziertes Bild zeichnen, andere wiederum geradezu Freude durchblicken lassen, Herbert Wehner als vermeintlichen „Spitzel“ und „Denunzianten“ entlarven zu können. Herbert Wehner sei ein „exzessiver Funktionstäter“ (Reinhard Müller) gewesen, das ist die Kernbotschaft des mit dramatischer Musik, lyrischen und Stalin-Bildern unterlegten Beitrags. Aber diese Botschaft geht ins Leere:
- Gegen Herbert Wehner ist in Moskau Mitte Januar 1937, kurz nach seinem Eintreffen, ein Untersuchungsverfahren auf Grund schwerer Beschuldigungen durch kommunistische Funktionäre eröffnet worden, das über ein Jahr gedauert hat. Trotzdem sollen seine Angaben Gewicht genug gehabt haben, um Mitte Februar 1937 Grundlage eines Befehls des Geheimdienstchefs zur Verfolgung des deutschen Exils zu werden.
- Die behaupteten sprachlichen Ähnlichkeiten zwischen Formulierungen aus Wehners „Kaderakte“ und dem Jeschow-Befehl beweisen noch nichts. Viele sprachen und schrieben damals in Moskau in gleicher Weise. Unter den Exilkommunisten hatte der NKWD reichlich Zuträger und Informanten.
- Die Liste mit über 500 Namen von NS-Verfolgten, die Herbert Wehner 1935 aus dem Gedächtnis erstellt hat, damit sie nicht vergessen würden und damit ihnen möglicherweise geholfen werden könne, mag in den „Säuberungen“ durch die Organe der Sowjetunion mißbraucht worden sein. Zunächst waren diese Opfer von Wilhelm Pieck öffentlich gerühmt worden. Ihre spätere Verfolgung hat Herbert Wehner weder gewollt noch vorhersehen können.
- Mit Birkenhauer, Flieg, Wilde und Brückmann wird eine Reihe von Opfern des stalinistischen Terrors in Verbindung mit Aussagen Herbert Wehners gebracht, die selbst Wehner – und viele andere – massiv und folgenschwer angeschwärzt hatten. Mit belastenden Aussagen über sie wehrte er sich seiner Haut. Ob das nur ihre Anwürfe entkräftet oder ihnen darüber hinaus auch geschadet hat, ist nicht geklärt.
Diese Mängel des Films haben eine Reihe von Ursachen:
- die Herauslösung der Aussagen von und Quellen zu einer einzelnen Person, Herbert Wehner, aus dem Zusammenhang einer großen Vielzahl von Quellen, Aussagen und Gegenaussagen.
- die „Fachberatung“ des Films durch nur einen einzigen „Wehner-Experten“, nämlich den ehemaligen DKP-Funktionär Reinhard Müller, der schon in seiner 1993 erschienenen Quellensammlung „Die Akte Wehner“ die Belege selektiv ausgewählt und einseitig belastend interpretiert hat. Kompetente Historiker wie Hermann Weber und Hartmut Soell haben ihm seine Fehler damals nachgewiesen. Er wiederholt sie gleichwohl.
- Mit Ausnahme eines einzigen Zitats von Greta Wehner kommen keine Personen zu Wort, die Herbert Wehner wirklich gekannt haben. Mit der mehrfachen Kommentierung durch den Publizisten Klaus Harpprecht, werden lediglich Invektiven eines Wehner-Gegners, aber eben nicht fundierte Aussagen eines Wehner-Kenners präsentiert.
Den entscheidenden Grund, warum dieser Filmbeitrag über Herbert Wehner mißlingen mußte, hat der renommierte Kommunismusforscher Hermann Weber schon 1993 in einer Besprechung des Müller-Werks „Die Akte Wehner“ benannt:
„Für die Vorführung enger Verquickung der Strukturen und persönlicher Verantwortlichkeit bei den stalinistischen Säuberungen ist Wehner ein wenig taugliches Objekt. Daß er zu den ganz wenigen Ausnahmen der Parteiführer gehörte, bei denen die Umformung zum stalinistischen Parteisoldaten, zum Täter in der Diktatur eben nicht voll gelungen war, beweist nicht nur Wehners radikaler Bruch mit dem Kommunismus, sondern vor allem dann sein Einsatz für Freiheit und Demokratie.“
Genau dieser Zusammenhang, das, was am „Fall“ Herbert Wehner das Besondere ist, wird in dem Film „Tödliche Falle“ nicht beachtet. Statt dessen wird Wehner einseitig als „fleißig, wachsam, wendig und klug“, als „linientreu und pflichtbewußt“ dargestellt. Da, wo Differenzierung notwendig und erkenntnisfördernd gewesen wäre, läßt die Regisseurin Harpprecht formulieren: „Entweder übt man Macht aus, oder man ist Opfer der Macht.“ So einfach ist das eben nicht in der Politik, und so einfach war es noch nicht einmal in Moskau 1937.
Es ist bedauerlich, daß ein großes und angesehenes Massenmedium wie der WDR ein so undifferenziertes, im Ergebnis demagogisches Werk produziert und ausgestrahlt hat. Und das ausgerechnet am Vorabend des Feiertages, dessen Bezeichnung, „Tag der deutschen Einheit“, von Herbert Wehner stammt.
Um nicht mißverstanden zu werden: Herbert Wehner hat sich in der Zeit des stalinistischen Terrors mit schuldig gemacht; er selbst war sich dessen bewußt, und er hat sich eben nicht einseitig „zum Opfer stilisiert“, wie Müller behauptet. So sind seine „Notizen“ von 1946 zu verstehen (siehe hierzu auch die obige Stellungnahme von Greta Wehner). Er hat in den „Notizen“ das Funktionieren und die Fehlentwicklung des sowjetischen Kommunismus scharf analysiert, um zu zeigen, wo Politik in die Irre geht und daraus für die Zukunft zu lernen.
Dem entsprechend heißt es schon seit drei Jahren auf der Internetseite des Herbert-Wehner-Bildungswerks:
„Herbert Wehner war zeitlebens und nach seinem Tode scharfen Angriffen von politischen Gegnern und Sensationsjournalisten ausgesetzt. Mit ihm haben wir sächsischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns kein einfaches Vorbild gewählt. Ungebrochene Helden und Heldinnen gibt es jedoch nicht. Sie sind zurechtgebogene Wunschbilder; die Wirklichkeit ist komplizierter. Wehner hat die politischen, ideologischen wie menschlichen Wege und Irrwege des 20. Jahrhunderts miterlebt und miterlitten – und dabei auch Fehler begangen. Viele Menschen haben sich nach den Erfahrungen mit den Diktaturen enttäuscht von der Politik abgewandt. Nicht so Herbert Wehner: Er hat seine Erfahrungen für den Aufbau der zweiten deutschen Demokratie zur Verfügung gestellt und Verantwortung für das Gemeinwesen übernommen. Was er beitragen wollte, hat er 1964 so zusammengefaßt: ‚Helfen. Und arbeiten und nicht verzweifeln. Und auch die skeptischen Leute die Erfahrung erleben lassen, daß es mit Ehrlichkeit geht.'“
In diesem Sinne gilt weiter: Das Herbert-Wehner-Bildungswerk, welches der Freundeskreis unterstützt, dient der politischen Bildung und der Völkerverständigung sowie der Wahrung des Andenkens an die politischen und menschlichen Leistungen Herbert Wehners.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Jürgen Schmude (Sprecher des Freundeskreises) und Dr. Christoph Meyer (Geschäftsführer)