Greta Wehner über die Notwendigkeit politischer Bildung
Als ich 1992 zur Gründungsversammlung eingeladen war, hatten die sächsischen Sozialdemokraten sich bereits auf diesen Namen geeinigt. Namen sind häufig Symbol für etwas, was erhofft wird. Diese Hoffnung begegnet mir immer wieder mit den Worten, hätten wir doch heute Herbert Wehner in Sachsen.
Die aus seinem politischen Weg gewachsene Erfahrung, die ihn zu vorausschauendem Denken befähigte, seine eindeutige Entscheidung zum demokratischen Rechtsstaat, sein soziales Gewissen und seine Kraft zu überzeugen und Erkanntes durchzusetzen, ist nicht nachzuahmen, aber, das kann als Vorbild wirken. Manch einer mag fragen, was hat dieser politische Praktiker mit Bildungsarbeit zu tun, Bildung ist ihm immer wichtig gewesen. Er selbst war ein Leben lang Lernender. Sein Traum, in jungen Jahren Lehrer zu werden, ließ sich nicht verwirklichen. Seine Vorstellung, nach der Rückkehr aus der Emigration, Leiter einer Heimvolkshochschule in Schleswig-Holstein zu werden, scheiterte an der fehlenden akademischen Bildung. Die Fähigkeit, anderen das Rüstzeug mitzugeben, erlosch dennoch nicht. Als stellvertretender Vorsitzender der SPD, zu einer Zeit als dieses Amt die Aufgabe des Bundesgeschäftsführers einschloß und nicht durch eine inflatorische Zahl der stellvertretenden Vorsitzenden geprägt war, führte Herbert Wehner Wochenkurse mit Sozialdemokraten aus den Betrieben durch.
Einer der Teilnehmer, Michael Weber, schrieb in seinen Erinnerungen: Er hat uns Teilnehmern, mit dem, was er uns gelehrt hat und damit, wie er uns unterstützt und geholfen hat, zum aufrechten politischen Gang verholfen.
Die erste, planmäßige Heranbildung von Parteisekretären (heute Geschäftsführer) in der Nachkriegs-SPD, wurde in der gleichen Zeit nicht nur von Herbert Wehner angeregt, sondern auch lehrend durchgeführt. Diese aus verschiedenen Berufen gekommenen und sich dort bewährt habenden Männer erarbeiteten sich mit Herbert Wehner in der blockweisen, in Theorie und Praxis gegliederten Ausbildung nicht nur politisches Wissen, sondern auch ganz praktische Hilfsmittel.
„Eine vielfache Herausforderung“
So erinnere ich, daß Herbert Wehner bemüht war, ihnen zu vermitteln, wie man sinnvoll Notizen macht, um Diskussionen in Veranstaltungen leiten zu können. Die Bergneustadt-Gruppe
hat sich in der praktischen Arbeit der Unterbezirke und Bezirke der SPD hervorragend bewährt. Politische Bildung unter dem Namen Herbert Wehner ist eine vielfache Herausforderung, wenn sie gut ist, hilft sie den Menschen selbständig politisch zu denken, solidarisch zu handeln und, im besten Fall, auch zukunftsweisend entscheiden zu können, mit welchen Gruppierungen die Zukunft unseres Rechtsstaates sozial und demokratisch gestaltet werden kann. Alte Freunde, die Herbert Wehner im politischen Leben selbst erlebt haben oder die durch die jahrzehntelange Spaltung unserer Heimat ihn nur mit Hilfe des Rundfunks erleben konnten und junge Freunde, die nachgewachsen sind, unterstützen, je nach ihren persönlichen Möglichkeiten, die Arbeit des Bildungswerkes.
Im August 1994 äußerte ich etwas leichtfertig: Wenn ich könnte, würde ich hier in Dresden für das Herbert-Wehner-Bildungswerk ein Haus bauen, mit Platz für Schulungsräume und Bibliothek und für mich eine Wohnung darin. Die Wohnung habe ich geschafft, der weitere Gedanke ist von anderen aufgegriffen: ein Haus für Herbert Wehner
, hier in seiner geliebten Heimat, in die der im Januar 1990 Verstorbene nicht mehr heimkehren konnte, einen Ort zu schaffen, wo die Menschen das Rüstzeug erarbeiten können, mit dem sie fähig werden: die Dinge zu regeln, die uns alle angehen
, wie Herbert Wehner das Wort Politik erklärte.
Der Neuen Gesellschaft Sachsen mit ihrem Herbert-Wehner-Bildungswerk ein herzliches Glückauf.
Greta Wehner (1997)