Frage:
Herr Wehner, zu den Auffassungen, die sich ziemlich festgesetzt haben, auch wieder durch publizistische Behandlung, gehört die Annahme, daß Sie beim Rücktritt von Willy Brandt eine entscheidende Rolle gespielt hätten. Es hat damals am Wochenende vor dem Rücktritt im Mai 1974 Gespräche gegeben mit Willy Brandt in Münstereifel, darunter wohl auch ein Gespräch zwischen Brandt und Ihnen. Können Sie darüber reden, haben Sie einen Rücktritt von Willy Brandt damals für notwendig gehalten und darauf hingewirkt?
Antwort:
Ich habe nichts für notwendig gehalten. Ich habe Willy Brandt am 6. Mai 1974 früh, als er in einem engen Kreis der Koalition gesagt hat, daß er sich entschlossen habe zurückzutreten, wegen des Vorgangs mit diesem Guillaume wegen Fahrlässigkeiten, die vorgekommen seien, habe ich zu denen gehört – übrigens keiner der anderen war einverstanden, auch weder die drei von der FDP noch der zweite von der SPD – außer mir – von Brandt rede ich, der war einer von uns dreien. Ich habe damals erklärt, es gibt keinen Grund für seinen Rücktritt, aber – und dann habe ich gesagt: Es gibt Grund, daß der Soundso aufgrund der Verantwortung, die er während der fraglichen Wochen gehabt hat, geht. Kein Minister, sondern ein Staatssekretär, nicht weil ich dachte, lieber ein Staatssekretär, sondern wer die Verantwortung dafür hatte, die Verantwortung dafür, daß Texte verschlüsselt und entschlüsselt durch die Hände von einem Menschen gingen, der sonst nie damit zu tun gehabt hätte. Und das andere sage ich, das muß man, muß wieder ein anderer entscheiden, es sind alles nicht Kanzlerentscheidungen. Wie das war mit den Oberservationen und der Auswertung der Observationen, die von einem bestimmten Zeitpunkt an gewesen sind. Das war meine Erklärung. Ich habe erklärt, es gibt keine Notwendigkeit dafür, daß der Bundeskanzler Willy Brandt dafür, was als Fahrlässigkeiten bezeichnet worden ist, zurücktritt. Es gab eine Bedenk- und Besprechzeit bis zum Abend dieses Tages, und am Abend hat er dann erklärt, er bleibt doch bei diesem Entschluß.
Frage:
Herr Wehner, in der Rückschau ist zuweilen die Auffassung vertreten worden, daß der Wechsel von Willy Brandt zu Helmut Schmidt, auch ganz unabhängig von der Guillaume-Affäre, gleichsam ein Ausdruck eines allgemeinen Bewußtseinswandels gewesen sei. Dann ist das Wort Tendenzwende gefallen, Verlagerung der politischen Akzente, der Themen, eine Verlagerung mehr auf wirtschaftspolitische Themen. Auch ist gesagt worden, daß es ohne diesen Wechsel vielleicht schon damals zu einem Ende der sozialliberalen Koalition gekommen wäre. Ist diese Sicht völlig falsch?
Antwort:
Das weiß ich nicht. Ich habe mich mit solchen Sichten nie beschäftigt und würde es auch nicht tun. Ich habe Ihnen jetzt eine Antwort gegeben, wie das wirklich war. Ich bin auch heute noch, auch wenn er nicht mehr Kanzler ist, bei allem, was er mich hat entgelten lassen, aus seinem Verständnis heraus, loyal zu Brandt. Und diese ganzen Sachen, die Sie jetzt erzählen, das mag bei vielen Leuten Deutung gewesen sein, das mag bei manchen vielleicht auch Meinung gewesen sein – das wäre sowieso gekommen -, meine Meinung war das nicht. Ich bin auch kein Händler in Details. Ich wußte wohl, was es hieß, wenn der erste sozialdemokratische Bundeskanzler aus eigenem Entschluß und in solch einer Situation zu gehen für unvermeidlich hält.