„An dir ist eine Politikerin verlorengegangen“

Zum 5. Todestag von Greta Wehner

Helmut Schmidt und Greta Wehner an Herbert Wehners 100. Geburtstag in Dresden. Vorne die ehemaligen Bundesminister Franz Müntefering und Jürgen Schmude

Am 23. Dezember 2022 jährt sich der Sterbetag von Greta Wehner (1924-2017) zum fünften Mal. Die Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung erinnert sich mit Dankbarkeit an ihre Begründerin. Aus Anlass des Jahrestags stellt Stiftungsvorstand Christoph Meyer eine kurze Passage aus dem Entwurf zu seiner in Arbeit befindlichen Biographie „Greta Wehner. Ein ganzes Menschenleben“ vor. Meyer dazu: „Damit will ich ein Beispiel geben, wie Greta vor dem Hintergrund ihrer Lebenserfahrung mit aktuellen politischen Fragen umgegangen ist. Es mag auch als Hinweis auf die aktuelle politische Lage gedeutet werden, was Greta 1991 zum Golfkrieg zu sagen hatte. Helmut Schmidts damalige Reaktion darauf – ‚An dir ist eine Politikerin verlorengegangen‘, schrieb er ihr – spricht jedenfalls Bände.“

Hier also der kurze Auszug:

„Zu Gretas Auftritt nach Herberts Tod gehörte es, dass sie aktiv in der Bonner SPD mitarbeitete. Sie ging zu den Versammlungen des Ortsvereins Bad Godesberg-Süd, ließ sich als Delegierte zum Bonner Unterbezirksparteitag wählen. Sie scheute, wenn es ihr wichtig erschien, auch nicht davor zurück, sich lautstark zu Wort zu melden, wenn ihr etwas nicht passte.

Das war im Januar 1991 der Fall, als die SPD mit zu einer Großkundgebung der Friedensbewegung im Bonner Hofgarten gegen den von den Vereinigten Staaten mit dem Irak geführten Golfkrieg um Kuwait aufrief, ohne einen eigenen Redner zu stellen. Sie schrieb daraufhin an ihre ‚Freunde‘ und die ‚Genossinnen und Genossen‘ im Bonner Unterbezirk, in der Bundestagsfraktion und im Präsidium des Parteivorstands der SPD. Mit Sorge habe sie Kenntnis genommen ‚von der unpolitischen Art, in der sich unsere SPD an der aus Ohnmachtsgefühlen entstandenen‘ Friedensdemonstration am 26. Januar beteilige. Es sei schwer, gleichzeitig für eine friedliche Lösung des Konflikts einzutreten und dabei nicht ‚in den Sog von Antiamerikanismus, militanter propalästinensischer und antiisraelischer extremer Gruppen zu geraten‘.

Dies gelte umso mehr, wenn die Partei gleichzeitig die Möglichkeit aus der Hand gebe, durch ‚politisch erfahrene und in Massenveranstaltungen wirkungsfähige Personen‘ eine Haltung zu vertreten, welche ‚der ganzen politischen Lage gerecht wird‘. So rief sie zu ‚Nachdenklichkeit für weitere Entscheidungen‘ auf.[1] In einem weiteren Brief legte sie nach. Sie sei vom Gefühl her dafür, sofort Frieden zu machen, gleichzeitig quäle es sie zu wissen, dass ein Aufhören jetzt gar nicht erreichbar sei. Greta erinnerte an ihre Jugend vor dem und im 2. Weltkrieg, als friedliebende Menschen in der Emigration sich schon einmal dazu gezwungen sahen, in Spanien für die Demokratie zu kämpfen und dann – wie ihre Jugendliebe Arnošt – mit der Waffe in der Hand gegen Hitler anzutreten. Was am Golf geschehe, sei grauenhaft, aber ihr graue auch vor dem Despoten Saddam Hussein, der seinem Volk bereits acht Jahre Krieg aufgebürdet und unendliche Mittel statt zum Wohle der Menschen zum Morden ausgegeben habe. Das heiße, so Gretas Folgerung, ‚Friedensbewegung muß künftig viel früher beginnen.‚[2]

Helmut Schmidt schrieb ihr um die gleiche Zeit, er bewundere ihre Aktivität. Für den Brief an die ‚Freunde‘ wegen der Friedensdemonstrationen bedankte er sich, der habe ihm sehr eingeleuchtet: ‚An dir ist eine Politikerin verlorengegangen.‘[3]

[1]     HGWST-GW (unverzeichnet). Greta Wehner an „Liebe Freunde, liebe Genossinnen und Genossen im UB Vonn, in der Bundestagsfraktion und im Präsidium des Parteivorstandes vom 25.1.1991 (hs., Kopie).

[2]     HGWST-GW (unverzeichnet). Greta Wehner an SPD-Unterbezirk Bonn/Hans Walter Schulten vom 7./8.2.1991 (hs., Kopie).

[3]     HGWST-GW 061. Helmut Schmidt an Greta Wehner 7.2.1991 (ms.).

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